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„Messen als reale Highlights in der Flut des Digitalen positionieren“ – Interview mit Hendrik Hochheim, Leiter Messen Deutschland

Der Ausstellungs- und Messe-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft e.V. – kurz AUMA – hat die interaktive Broschüre „AUMA Trends 2022/2023. Die deutsche Messewirtschaft: An uns hängt viel.“ herausgebracht, die zehn Thesen sowie Stimmen aus dem Messe-Umfeld enthält. Mit Hendrik Hochheim, Leiter Messen Deutschland beim AUMA, haben wir uns über die Erkenntnisse der Publikation ausgetauscht.

Als Verband der deutschen Messewirtschaft verfolgt der AUMA das Ziel, Messen als unentbehrliches Marketinginstrument zu positionieren und die Spitzenstellung von Deutschlands Messen in der Welt zu bewahren – gerade während der Corona-Pandemie und weltpolitischen Konflikten eine Mammutaufgabe.

In den letzten Jahren hatte die gesamte Branche Gelegenheit, ihre Flexibilität zu zeigen und auch die Messe Düsseldorf hat auf die Veränderungen reagiert und hybride Lösungen wie etwa die glasstec VIRTUAL, die virtual.MEDICA und virtual.COMPAMED oder die virtual.drupa etabliert. So hielten wir das Geschäft auch vor dem Hintergrund von Reiseeinschränkungen und Kontaktverboten am Laufen. Dass wir durch vorausschauendes Handeln außerdem bereits digitale Angebote wie unser Matchmaking-Tool in der Hinterhand hatten oder der Relaunch unserer Ausstellerausweise schon vor Pandemiebeginn geplant war, kam uns natürlich auch zugute. Natürlich war aber bei allen Beteiligten der Wunsch nach einem Re-Start des physischen Messe-Business präsent und bester Beweis dafür, dass Messen weiterhin als der beste Ort für die Präsentation neuester Technologien und innovativer Produkte wahrgenommen werden – das erlebten wir eindrucksvoll z. B. auf der EuroCIS oder dem Messe-Duo wire und Tube.

Und auch zukünftig wird das Medium Messe einem steten Wandel unterlegen sein. Denn Aufgaben, wie das Erreichen von Digitalisierungs- und Nachhaltigkeitszielen stellen uns auch in den nächsten Jahren vor Herausforderungen. All diese Entwicklungen haben nicht nur wir, sondern auch der AUMA genau im Blick und steht mit wichtigen Akteuren der Messewirtschaft im regelmäßigen Austausch. Die bei diesen Beobachtungen und Gesprächen gewonnen Einblicke sind ins Thesenpapier „AUMA Trends 2022/2023“ zur Zukunft der Messewirtschaft eingeflossen – absoluter Lesetipp von uns und Anlass, mit Hendrik Hochheim, Leiter Messen Deutschland beim AUMA, zu sprechen.

„Messen sind wieder die Kommunikationsanlässe ihrer Branchen“

Redaktion: Ab dem #MesseMonatMai war der Sommer geprägt von vielen spannenden Messen und Kongressen: Wie ist Ihr Fazit zum Re-Start des Messegeschäfts?

Hendrik Hochheim (HH): Das Branchenmagazin m+a Report schrieb zum Ende des Monats: „Der #MesseMonatMai hat viele Knoten gelöst und wirkt befreiend (nach). Vor allem aber hat er gezeigt, was die Branche zu leisten vermag respektive gewillt ist zu tun (selbst mit geringen Bordmitteln). Das lässt hoffen für die Zeit nach der tiefen Delle…“ Dem kann ich mich nur anschließen. Messen sind wieder da und alle Beteiligten merken, was ohne Messen alles gefehlt hat.

#endlichwiederMesse: Worin drückt sich dieses Gefühl für Sie persönlich am deutlichsten aus?

HH: Egal, auf welcher Messe ich in den letzten Wochen unterwegs war, die Reaktion war überall dieselbe: Endlich treffen wir uns wieder persönlich. Selten habe ich die Freude am persönlichen Austausch so deutlich gespürt. Und bei allen Vorteilen, die die digitale Kommunikation bietet, habe ich aus diesen persönlichen Gesprächen deutlich mehr mitgenommen als aus jeder Teams- oder Zoom-Konferenz. Und Messen sind wieder die Kommunikationsanlässe ihrer Branchen. Wenn eine Messe stattfindet, wird medial auf allen Kanälen darüber berichtet und die jeweilige Branche ins Scheinwerferlicht gestellt.

Was erwarten Sie für das Messegeschäft im Herbst?

HH: Der Nachholbedarf ist enorm. Für 2022 standen in Deutschland ursprünglich 391 Messen im Kalender, ein neuer Höchstwert, der auch durch Verschiebungen aus dem Vorjahr entstanden ist. Dennoch werden Messen das hohe Vor-Corona-Niveau an Besuchern, Ausstellern und Flächen so bald nicht erreichen. Die Branche erwartet eine Erholung frühestens 2024, bei den vermieteten Flächen eher noch später.

In der zweiten Hälfte des Jahres 2022 sind gesamtwirtschaftliche Effekte durch Messen in Höhe von knapp 9 Milliarden Euro zu erwarten. Voraussetzung dafür ist ein stabiles zweites Messehalbjahr. Vor der Pandemie waren es 28 Milliarden Euro.

Am wichtigsten ist aber, dass die Politik jetzt stabile Rahmenbedingungen schafft. Beschränkungen für Messen wie Personenobergrenzen oder gar Verbote dürfen nicht mehr zum Instrumentenkasten der Politik gehören. Ohne Planungssicherheit geht die Verunsicherung in der Branche weiter.

„Nachhaltige Messen – die wahrscheinlich größte Herausforderung der nächsten Jahre“

Inwiefern werden die großen Themen der ausstellenden Industrien – Digitalisierung und Nachhaltigkeit – auch für die Messewirtschaft weiterhin eine wichtige Rolle spielen?

HH: Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind zwei Mega-Themen, für die ganze Gesellschaft und natürlich auch für Messen. Messen sind auf die Bedürfnisse ihrer Kunden ausgerichtet. Insgesamt wird Messeplanung für ausstellende Unternehmen wie auch für Messeveranstalter komplexer, da sich digitale und analoge Formate stärker verbinden. Das stellt neue Anforderungen und verlangt zusätzliche Investitionen in Technologie und Qualifizierung des Personals. Die letzten zwei Jahre haben uns gezeigt, an welchen Stellen digitale Tools sinnvoll und hilfreich sind. Ich sehe nach die diesen Erfahrungen aber keine breite Digitalisierung der Messen, sondern eher der Prozesse.

Das Thema Nachhaltigkeit durchzieht alle Sphären der Gesellschaft. Die aktuelle Diskussion um Energiesicherheit und -kosten zeigt die Brisanz des Themas an dieser Stelle. Messen nachhaltig zu veranstalten, ist die wahrscheinlich größte Herausforderung der nächsten Jahre. Viele Unternehmen, Organisationen und Verbände der Messe- und Veranstaltungswirtschaft haben sich der Initiative „Net Zero Carbon Events“ angeschlossen und unterstützen die Ziele des Pariser Klimaschutz-Abkommens.

In der Pandemie waren digitale und hybride Messeformate auf dem Vormarsch: Was bedeutet das für physische Veranstaltungen?

HH: Die Pandemie hat neue digitale Gewohnheiten hervorgebracht. Sobald aber Messen wieder möglich waren, ging der Bedarf an rein digitalen Formaten drastisch zurück. Aber sicher ist: Messen werden künftig sehr viel höhere digitale Anteile haben. Digitalisierung hilft Messeveranstaltern enorm, zusätzliche Werte für Aussteller und Besucher zu schaffen, sei es beim Community-Building oder bei Co-Creation.

Über digitale Brücken können neue Zielgruppen erreicht werden, können sich Aussteller und Besucher beteiligen, die für einen ersten Eindruck nicht anreisen würden. Aber neue Bindung, innovative Kooperation und langfristige Beziehungen entstehen durch Begegnung: Im Paket gibt’s das nur auf Live-Messen. Gleichzeitig steht das Geschäftsmodell Messe auf dem Prüfstand. Denn die digitalen Angebote füllen eben keine Messehallen. Die Herausforderung besteht darin, die Messe als reales Highlight in der Flut des Digitalen zu positionieren.

Gibt es auf internationaler Ebene Entwicklungen in der Branche, von denen wir uns etwas abschauen könnten und worin ist Deutschland Vorreiter in Sachen Messegeschäft?

HH: Deutschland ist Messeland Nummer 1. Kein anderes Messeland bietet eine so große Internationalität. Aussteller und Besucher kommen aus der ganzen Welt nach Deutschland. Außerdem sind Messen vor allem der Treffpunkt der kleinen und mittelständischen Unternehmen hierzulande. Neun von zehn Ausstellern auf deutschen Messen haben weniger als 500 Beschäftigte. Unser Mittelstand ist Garant für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands. Gerade die Hidden Champions finden in Deutschland fast 70 Messeplätze vor ihrer Haustür, die sie mit den nationalen, aber vor allem internationalen Märkten verbinden. Der Export beginnt also direkt vor der Haustür. Messen made in Germany sind Anziehungspunkte für die Welt.

Ein Blick ins Ausland zeigt aber auch Entwicklungen, die für uns spannend sind. So sind Conventions, bei denen nicht die vermietete Fläche, sondern der Community-Gedanke im Vordergrund steht, ein interessanter Ansatzpunkt, um Messen weiterzuentwickeln.

Sie haben gerade eine neue Publikation herausgegeben zum Thema Zukunft der Messewirtschaft: Wie sieht die Messebranche in 10 Jahren aus?

HH: Keine Messe sieht in 10 Jahren so aus wie heute. Aber auch 2022 sieht keine Messe so aus wie 2012. Messen waren schon immer der Spiegel ihrer Branchen. Wandel ist ihr ständiger Begleiter. Was aber bleibt ist, dass Messen der Ort für Emotionen sind, die erste Adresse für Akquise, der Handelsplatz der Wirtschaft schlechthin – an einem Ort, in der gleichen Zeitzone, der Höhepunkt des Branchenzyklus. Ich bin gespannt auf die Veränderungen!

Vielen Dank für das Interview, Herr Hochheim. Welche Erwartungen habt ihr an die Messen der Zukunft? Lasst es uns in den Kommentaren wissen!

Infos zur Publikation „AUMA Trends 2022/2023“

​Die deutsche Messewirtschaft: An uns hängt viel.

  • Entwicklung der deutschen Messewirtschaft im dritten Jahr der Corona-Pandemie
  • Mit Beiträgen von Ingrid Hartges (DEHOGA), Peter Ottmann (NürnbergMesse), Kai Hattendorf (UFI), Jörn Holtmeier (AUMA) und vielen anderen Messekennern.


  • Digitalbroschüre, AUMA (Hrsg.), 24 Seiten, Juni 2022.

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    Bildquelle (Header): AUMA/Steffen Kugler

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