Very British: Wie Wein aus England und Wales zum Exportschlager wurde
Die großen Weinnationen bekommen Konkurrenz – und das aus einer unerwarteten
Richtung. Großbritanniens Weine beeindrucken Kritiker, Kunden und sogar das
Königshaus. Der Klimawandel könnte den Erfolg noch befeuern.
Als Pierre-Emmanuel Taittinger im Jahr 2015 rund 70 Hektar Ackerland in der britischen
Grafschaft Kent kaufte, sorgte dieser Schritt weltweit für Schlagzeilen. Schließlich ist
Taittinger nicht irgendein Unternehmer, sondern der CEO des wohl bekanntesten
Champagnerherstellers der Welt. Das Unternehmen wurde 1734 in Reims gegründet und ist
seitdem ein Aushängeschild Frankreichs. Dass Taittinger seine Trauben nun in einem Joint
Venture mit der britischen Weinhandelsagentur Hatch Mansfield auch in Großbritannien
anbaut, war somit ein Paukenschlag. Es rückte die britische Weinszene, die bis dahin
international kaum Beachtung gefunden hatte, in den Blickpunkt der Öffentlichkeit.
Seit rund 30 Jahren entstehen immer mehr Weinanbaugebiete in Regionen, die zuvor als
wenig bis völlig ungeeignet für den Anbau der empfindlichen Reben galten. Das zeigt auch
ein Blick auf die Ausstellerliste der internationalen Leitmesse für Wein und Spirituosen,
ProWein, die vom 19. bis zum 21. März 2023 in Düsseldorf stattfindet. Waren Anbieter aus
klassischen Weinbauländern wie Frankreich, Italien, Spanien und Deutschland hier noch bis
in die Nullerjahre weitgehend unter sich, hat sich die Palette inzwischen deutlich erweitert –
und nach Norden verschoben. Der Klimawandel, der höhere Temperaturen und frostfreie
Böden bis weit in die skandinavischen Länder hineinbringt, macht es möglich. So kommen
preisgekrönte Weine inzwischen auch aus Belgien und den Niederlanden, Dänemark,
Schweden und sogar Norwegen. Das norwegische Weingut Lerkekåsa, das etwa auf dem
gleichen Breitengrad wie Alaskas Hauptstadt Anchorage liegt, gilt als das nördlichste
kommerzielle Weinanbaugebiet der Welt.
Zu einem wahren Hot Spot in Sachen Rebensaftproduktion hat sich Großbritannien
entwickelt. So wuchs die Zahl der britischen Weingüter zwischen 1970 und Ende 2022 von 0
auf 897; die Anbaufläche hat sich seit dem Jahr 2000 vervierfacht und beträgt heute rund
3.700 Hektar. Auch die Zahl der verkauften Flaschen entwickelt sich stetig nach oben.
Waren es 2020 noch rund 7,1 Millionen Flaschen, lag die Zahl 2021 schon bei 9,3 Millionen
– ein Anstieg um 31 Prozent. Das Ende der Entwicklung ist das noch lange nicht, denn die
Hersteller treibt ein ambitioniertes Ziel: Mitte der 2030er Jahre sollen pro Jahr 40 Millionen
Flaschen Wein „made in Britain“ über die Ladentheke gehen.
Der Klimawandel hilft britischen Winzern
Die Chancen, dass das gelingen wird, stehen gut. Zunächst gleicht die britische Südküste,
an der 90 Prozent der Weine angebaut werden, mit ihren klimatischen Bedingungen und der
Zusammensetzung der Böden stark der Champagne. Auch bei der Auswahl der Rebsorten –
Pinot Noir, Chardonnay und Pinot Meunier – orientiert man sich an den Franzosen. Doch
während die Ernten in der Grande Nation infolge der Erderwärmung immer schlechter
ausfallen, läuft es in Großbritannien gut. Natürlich sind auch hier die Temperaturen in den
letzten Jahren gestiegen, aber sie liegen immer noch einige Grad unter denen anderer
Weinregionen. An der englischen Südküste entsprechen die klimatischen Verhältnisse heute
denen in der Champagne vor 50 Jahren. Es sieht so aus, als würde der Klimawandel enorme
Chancen für den Weinanbau in Großbritannien mit sich bringen. Das zeigt auch eine aktuelle
Studie über die Klimaresilienz des britischen Weins, die im Fachjournal „OenoOne“ der
International Viticulture and Enology Society veröffentlicht wurde. Ihr zufolge haben sich die
Durchschnittstemperaturen der Vegetationsperiode in den wichtigsten Weinregionen
Südengland und Südwales zwischen 1981 und 2018 um rund ein Grad Celsius erhöht. Bis
2040 erwarten die Autoren der Studie einen weiteren Anstieg um 0,4 Grad Celsius, was zu
ähnlichen Verhältnissen wie in Burgund und in Baden führen und neue Möglichkeiten für
Rebsorten und Weinstile mit sich bringen würde.
Britische Weine liefern Masse und Klasse
Der gute Ruf der englischer und walisischen Weine hat sich bereits in der ganzen Welt
herumgesprochen. Das Interesse an den Erzeugnissen ist groß, wie die gut besuchten
Stände der Weingüter auf Branchenmessen wie der ProWein in Düsseldorf zeigen. Dem
Branchenverband Wines of Great Britain zufolge werden britische Weine derzeit in 30
Länder exportiert, allen voran nach Skandinavien, Japan und in die USA. Aber auch in Hong
Kong, Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden gewinnen sie immer mehr an
Popularität. Besonders beliebt sind die Schaumweine, sogenannte sparkling wines, die etwa
zwei Drittel der Erzeugung ausmachen. In der Herstellung und geschmacklich ähneln sie
stark dem Champagner, auch wenn sie sich nicht so nennen dürfen. Dieser Name ist
bekanntlich den Schaumweinen vorbehalten, die aus der Champagne stammen. Doch nicht
nur die Masse punktet, sondern auch die Qualität. So konnten englische Weine bereits
einige internationale Preise gewinnen. Manch ein Kritiker ließ sich sogar zu der Aussage
hinreißen, dass man sich hinter der Konkurrenz aus der Champagne keinesfalls zu
verstecken brauche. Dieses Lob kam auch in den allerhöchsten Kreisen an. So werden bei
Staatsbanketten oder Feierlichkeiten des britischen Königshauses Weine aus lokaler
Produktion gereicht.
Sparkling wine is coming home
Dass britische Weine ein solcher Erfolg werden würden, hätten viele nicht gedacht. Auf der
Insel selbst ist man von dieser Entwicklung allerdings nicht sonderlich überrascht. Schließlich
betrieben die Römer schon in der Antike Weinbau in Angelsachsen. Und sogar der
Champagner ist, so geht zumindest die Legende, eigentlich eine Erfindung der Briten: Der
englische Arzt und Physiker Christopher Merret erläuterte schon 1662 in der Royal Society in
London, wie man Wein zum Schäumen bringen kann – mehr als zwanzig Jahre bevor der
französische Mönch Dom Perignon seinen ersten Champagner herstellte. Heute schließt
sich der Kreis: Sparkling wine is coming home!
Auf der ProWein 2023 in Düsseldorf sind zahlreiche Aussteller aus Großbritannien mit stillen,
schäumenden und organisch angebauten Weinen vertreten, s.
Aussteller- und Produktverzeichnis.
Ausführliche Informationen rund um die Weinproduktion in Großbritannien gibt es auf den
Seiten des Branchenvergbands Wines of Great Britain unter www.winegb.co.uk