Zeitungspatenschaft als praktische Integrationshilfe
Die Messe Düsseldorf ist weltweit aktiv, deswegen erleben wir täglich, wie wichtig es ist, unsere Geschäftspartner verstehen zu können. Noch wichtiger werden Sprache und Verständnis für kulturelle Eigenheiten, wenn man in einem anderen Land leben möchte. Integration läuft über Sprache. Weil wir das wissen, und weil wir die Integration der Menschen, die vor Krieg, Terror und Verfolgung fliehen und bei uns eine neue Heimat finden, als wichtige gesellschaftliche Aufgabe sehen, unterstützen wir seit anderthalb Jahren den Deutschunterricht der Volkshochschulen (VHS) Düsseldorf und Mönchengladbach mit Zeitungspatenschaften der Rheinischen Post.
Das bedeutet, dass die Rheinische Post täglich in unserem Auftrag 100 Zeitungen an die Volkshochschulen liefert, die dort im Deutschunterricht der Integrationskurse eingesetzt werden und den Kursteilnehmern zur eigenen Lektüre zur Verfügung stehen. Zusätzlich erhalten die Kursleiter „News to use”. Das heißt, sie bekommen alle 14 Tage einen für den Unterricht aufbereiteten Artikel aus dem Lokalteil, zu dem es Aufgaben ähnlich wie in Lehrbüchern gibt. Diese Lernmedien erstellt Ansgar Fabri im Auftrag der Rheinischen Post, der auch selbst Deutsch als Fremdsprache an der VHS Düsseldorf unterrichtet. Ansatz der Zeitungspatenschaft ist, dass die Kursteilnehmer nicht nur Deutsch lernen, sondern gleichzeitig auch Zugang zu aktuellen Informationen über ihr neues Heimatland und ihr unmittelbares Lebensumfeld bekommen.
Wir haben uns diese besondere Kooperation von Beate Annette Freitag (BAF), Dozentin im Integrationskursbereich seit 2014, und Elena Kaznina-Soukup (EKS), Fachbereichsleiterin kulturelle und kreative Weiterbildung (bis vor kurzem Fachbereichsleitung Deutsch als Fremdsprache/Integration) bei der VHS Düsseldorf näher erläutern lassen und Mustafa, 27, aus Syrien (M) nach seinen Erfahrungen mit der Zeitungslektüre befragt.
Redaktion: Frau Freitag, wie setzen Sie die Zeitungen im Unterricht ein? Und ab welchem Niveau ist das überhaupt möglich?
BAF: Ich nutze die Zeitung bereits relativ früh ab Mitte Niveaustufe A2.1, allerdings dann in der vereinfachten Version „News to use”. In der Stufe A2.2 lasse ich die Teilnehmer die Struktur der Zeitung erforschen – wo stehen welche Infos. Aber auch die „News to use”-Texte verwende ich immer weiter bis B1.2. Vor allem aber im Orientierungskurs nutze ich oft die Zeitung, damit kann ich super die Bereiche Politik, Geschichte und Kultur bereichern, aktuelle Entwicklungen aufzeigen und in die „Wirklichkeit” bzw. Lebensrealität der Schüler übertragen. Einige Schüler lesen die Zeitung auch selbständig – aber erst ab B1-Niveau.
Redaktion: Was ist der Vorteil von Zeitungen gegenüber einem Lehrbuch?
BAF: Der große Vorteil gegenüber einem starren, theoretischen und oft – trotz aller Aktualisierungsbemühungen – als etwas langweilig und realitätsfremd empfundenen Lehrwerk ist die Aktualität der Zeitungsinhalte. Die Teilnehmer lernen, dass die Kursinhalte aktuell und relevant für sie sind. Mit Zeitungsberichten treffe ich die Interessen der Teilnehmer, für jeden ist mal etwas dabei und das wirkt sich positiv auf die Motivation der Teilnehmer aus.
Redaktion: Welche Themen interessieren die Kursteilnehmer besonders?
BAF: Die Teilnehmer interessieren sich immer sehr für den Düsseldorfer Teil mit aktuellen Infos rund um die Stadt und den Tipps zum Wochenende. Natürlich sind aber auch aktuelle politische Entwicklungen, insbesondere zum Flüchtlingsthema, interessant.
Redaktion: Was macht für Sie einen erfolgreichen Integrationskurs aus? Gibt es besondere (Erfolgs-) Momente?
BAF: Ein echter Erfolgsmoment war für mich, dass viele meiner Kursteilnehmer bei der WM Deutschland die Daumen gedrückt haben, weil sie sich jetzt auch als Deutsche empfinden. Zwei meiner Teilnehmer sind in eine politische Partei eingetreten – weil sie in ihrer Heimat eben keine Demokratie haben und ihre Meinung nicht frei äußern dürfen. Zeitungsartikel zu Landtags- oder Bundestagswahlen machen den Teilnehmern klar, wie demokratische Wahlen funktionieren. Aber auch aktuelle Texte machen deutlich, was Pressefreiheit bedeutet. Weiterhin haben meine Teilnehmer eine enge Bindung zueinander etabliert, helfen sich gegenseitig, unabhängig von ihrem Herkunftsland. Das ist für mich ein erfolgreicher Kurs, denn nur, wenn sich die Teilnehmer wohl fühlen, können sie auch erfolgreich eine so schwierige Sprache lernen.
Redaktion: Wie schätzen Sie die erfolgreiche Integration der Flüchtlinge auf dem deutschen Arbeitsmarkt, nach Beendigung des Kurses, ein?
BAF: Integration in den Arbeitsmarkt direkt nach dem Integrationskurs kann funktionieren – ein Teilnehmer hat z.B. schon einen Job als LKW-Fahrer sicher, wenn er die Prüfung besteht. Andere Teilnehmer haben schon ein Studium, bzw. sogar jahrelange Berufserfahrung in ihrem Heimatland vorzuweisen. Die Chancen dieser Teilnehmer auf dem Arbeitsmarkt schätze ich durchaus gut ein. Sie sind es gewohnt, für sich und ihre Familie zu sorgen und wollen gar nicht vom Staat abhängig sein. Aber auch junge Kursteilnehmer ohne Schulabschluss oder Ausbildung sind in der Gruppe. Hier kommt es vor allem auf die Eigenmotivation der Teilnehmer an. Zudem fördert das Job-Center auch spezielle berufsvorbereitende Kurse, in denen die Teilnehmer ihre Ausdrucksfähigkeit trainieren und lernen, sich korrekt zu bewerben. Das kann ein Integrationskurs zeitlich nicht bieten und damit erhöhen die Teilnehmer sicher ihre Berufschancen.
Mein Fazit: Integrationskurse schaffen die sprachlichen und gesellschaftlichen Grundlagen für eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt – die Basis. Der nachfolgende Orientierungskurs verdeutlicht unsere Lebensweise, Regeln und erklärt unsere Wurzeln und Verhaltensweisen. Viele Teilnehmer benötigen aber sicher danach noch berufsvorbereitende Kurse.
Redaktion: Mustafa, wie lange sind Sie in Deutschland und seit wann lernen Sie Deutsch?
M: In Deutschland bin ich seit zwei Jahren. Deutsch lerne ich seit einem Jahr.
Redaktion: Was für Zeitungsartikel lesen Sie am liebsten? Und warum?
M: Ich lese nicht oft Zeitung. Wenn, dann lese ich überwiegend über Politik, insbesondere über die Geschehnisse der aktuellen Asylpolitik, da mich das Thema persönlich betrifft und meine Zukunft davon abhängt. Besonders gerne lese ich Berichte über Sport und Fußball. Als Kind habe ich in Syrien Fußball gespielt. Jetzt leider nicht mehr.
Redaktion: Inwiefern unterscheidet sich die Rheinische Post von Medien in Syrien?
M: In Syrien gibt es keine Pressefreiheit, es darf keine Kritik ausgeübt werden, die eigene Meinung darf man nicht äußern. Informationen werden falsch wiedergegeben. Deshalb haben viele in meinem Heimatland gar keine Zeitung gelesen.
Redaktion: Was war bisher das Interessanteste oder Überraschendste, das Sie aus der Zeitungslektüre erfahren haben?
M: Interessant finde ich die aktuelle Konfliktsituation zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer. Wegen dieses spannenden Themas lese ich inzwischen Zeitung fast täglich. Aber auch über andere politische Themen wie z.B. Asylpolitik oder Trump und seine „Aktivitäten“ lese ich gerne. Am überraschendsten fand ich den Ausstieg der deutschen Fußballmannschaft aus der WM. Sehr schade!
Redaktion: Was mögen Sie an Deutschland? Und speziell an Ihrer neuen Heimatstadt? Was mögen sie eher nicht?
M: Freiheit, Gleichberechtigung und Sicherheit schätze ich an Deutschland sehr. Besonders gefällt mir die Sauberkeit. In Deutschland haben vor allem die Kinder sichere Zukunftschancen und wir haben realistische Chancen auf einen guten Job.
Die Architektur unterscheidet sich sehr von der in meinem Heimatland; ich liebe Fachwerkhäuser – so was haben wir in Syrien nicht. Es fällt mir auf, dass die Menschen sehr freundlich sind und sich nicht in der Öffentlichkeit streiten.
Sehr belastend finde ich die deutsche Bürokratie. Gleichgeschlechtliche Ehen finde ich komisch, akzeptiere aber die Tatsache, dass solche Ehen in Deutschland erlaubt sind.
Redaktion: Wie informieren Sie sich sonst über die Stadt und das Land? Welche Medien nutzen Sie sonst noch?
M: Meistens informiere ich mich über das Internet, manchmal sehe ich fern; Radio höre ich auch ab und an.
Redaktion: Frau Kaznina-Soukup, wie viele Geflüchtete nehmen aktuell an Deutschkursen der VHS Düsseldorf teil?
EKS: Die genaue Zahl von Geflüchteten, die an Deutschkursen teilnehmen, lässt sich nicht ermitteln, da wir bei der Anmeldung den aktuellen Aufenthaltsstatus der Teilnehmenden nicht abfragen. Aber wenn man die Anmeldezahlen von Teilnehmern aus den Ländern mit guter Bleibeperspektive wie Iran, Irak, Eritrea, Somalia und Syrien zusammenaddiert, haben im Jahr 2017 insgesamt 937 Personen aus diesen fünf Ländern an Integrationskursen teilgenommen. Die Zahl dürfte aktuell ähnlich sein.
Redaktion: Was für Teilnehmer nehmen an den Kursen teil?
EKS: Der Großteil unserer Teilnehmer ist jünger als 35 Jahre, die meisten zwischen 25 und 35. Bei den Jüngeren unter 25 sind es mehr Männer, bei den älteren Teilnehmern mehr Frauen, die teilnehmen. Das am stärksten vertretene Herkunftsland in unseren Kursen ist Syrien, danach folgen der Iran und Irak.
Redaktion: Was für Kurse bieten Sie an und wie lange dauern sie?
EKS: Die VHS Düsseldorf bietet im Integrationskursbereich überwiegend allgemeine Integrationskurse mit 600 Unterrichtsstunden Sprachkurs und 100 Unterrichtsstunden Orientierungskurs an. Diese Kurse umfassen 20 bis 25 Unterrichtsstunden pro Woche und dauern 7 bis 9 Monate. Zusätzlich gibt es einen im Stundenumfang etwas reduzierten Abendkurs für Berufstätige, einen täglichen Intensivkurs, der 4 bis 5 Monate dauert und Integrationskurse mit Alphabetisierung, die natürlich sehr viel länger dauern.
Vielen Dank für diese interessanten Einblicke in die Integrationskurse der VHS. Wir freuen uns, dass auch wir mit den Zeitungspatenschaften einen Beitrag zur Integration und Orientierung im neuen Heimatland leisten können.